Am Beispiel von Alice Berend
Alice Berend wurde am 30. Juni 1875 in Berlin als Tochter einer begüterten, jüdischen Fabrikanntenfamilie geboren. Man hatte Personal, aber mit Kunst und Kultur nichts am Hut. Als Alice fünf war, bekam sie eine Schwester namens Charlotte. Die Kleine war der Liebling der Familie, sie war hübscher und, auf bairisch, dantschiger. Aber die Schwestern hielten zusammen. Charlotte schrieb später: "Was es uns kostet aus dieser Philister-Familie auszubrechen. Wenn wir doch in einer Atmosphäre wie Fontanes geboren wären, da könnten wir schon auf einer vorhandenen Basis von Künstlertum aufbauen.“
Lesen war für Alice der Weg in eine andere Welt. Sie schrieb mit 13, 14 zwei Theaterstücke, die im Kindertheater des Berliner Künstlerhauses inszeniert wurden. Charlotte hatte die Kulissen gemalt und spielte eine kleine Rollte.
In den 1890er Jahren, da war Alice 15, erschienen im Berliner Tagblatt ihre ersten Beiträge über das Theaterleben. "Dore Brandt", ihr erster Roman, spielt in diesem Milieu. Dort verliebte sich Alice ausgerechnet in Max Reinhard. Als das nicht klappte, verliebte sie sich in Lovis Corinth, der bekannte Maler, der zu der Zeit Bühnenbildener für Reinhard machte. Leider bevorzugte der ihre hübschere Schwester Charlotte; zuerst als Schülerin, dann als Aktmodell und ab 1904 als Ehefrau. Wie man weiß, war diese Ehe für Charlotte kein Zuckerschlecken, Lovis erlaubte ihr nicht zu malen, obwohl sie hochbegabt war. Nein, sie sollte voll für ihn da sein und ihm keine Konkurrenz machen ... kennt man ja ...
Zurück zu Alice. Alice Berend heiratete im Sommer 1904 mit 29 Jahren, einen gewissen John Jönsson, einen unbekannten schwedischen Schriftsteller. Zwei Jahre später zogen sie mit ihrem Söhnchen Nils-Peter nach Florenz. Bei dessen Taufe soll es zum Bruch der Schwestern gekommen sein.
Alice schrieb in Florenz ihren zweiten Roman: „Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel“, der ihr den Durchbruch brachte. Man denkt heute wie hat sie das geschafft, ein Kleinkind, einen Haushalt und einen Mann, der sicher mit ihr konkurrierte und Tag für Tag an einem Roman zu schreiben. Wahrscheinlich so, wie sie es von ihrem Elternhaus her kannte: Man hatte Personal: eine Kinderfrau, eine Putzfrau und eine Köchin. Alice Berends dritter Roman: "Frau Hempels Tochter", war noch erfolgreicher.
Hier ist er: So kleine, gelbe, leinenkaschierte Büchlein gab damals der Samuel Fischer Verlag heraus. Ich hab sie antiquarisch bestellt, auch "Die Bräutigame der Babette Bomberling".
Die HeldInnen sind zumeist die „kleinen Leute“, Handwerker, Dienstmädchen und Mütter, die ihren Töchtern eine gute Partie verschaffen wollen und damit ein besseres Leben. Ihre Bücher erreichten Auflagen von mehreren hunderttausend und behaupteten eine Spitzenstellung im Programm des S.Fischer Verlags. Von der Kritik wurde sie positiv wahrgenommen und gelobt. Peter Härtling schrieb später: „Denn schreiben konnte diese Frau. Hier gibt es keine Stilblüten, keine durch Sentimentalität aufgeweichten Sätze, keine falsche Gemütlichkeit. Die Sprache ist knapp, bleibt bei der Sache und der Person. Sie charakterisiert unmissverständlich und anschaulich.“
Alice Berend ernährte ihre Familie alleine. Sie erwarb ein Stadthaus in Florenz und ein Ferienhaus am Gardasee. 1909 bekam sie die Tochter Charlotta. 1915 kehrten sie nach Berlin zurück, denn in Italien hetzte man bereits gegen "die feindliche Ausländer“. Vier Jahre später zogen sie nach Konstanz am Bodensee. Die Ehe mit John Jönsson zerbrach, Alice fing eine neue mit dem Maler Hans Breinlinger an. 1924, wieder zurück in Berlin, führte sie ihn in die dortigen Künstlerkreise ein, in denen er schnell reüssierte. Sie baute 1931 ein Haus in Berlin-Zehlendorf und war eine erfolgreiche, geehrte und anerkannte Autorin.
Plötzlich, 1933, waren ihre Bücher, gute Unterhaltungsliteratur, "schädliches und unerwünschtes Schrifttum“. Alice Berend konnte nicht mehr publizieren, ihre Bücher wurden verboten, verbrannt und konnten nicht mehr verkauft werdej. Zwei Jahre später, 1935, war sie eine geschiedene Frau und Hans Breinlinger, ihr Ex, ein gemachter Mann, der ihr Vermögen und das Haus in Zehlendorf "übernahm". Dort hatte Alice einen Salon geführt, zu dem u.a. ihre Freundin Elisabeth Castonier gehörte. Diese beschrieb in ihrem Roman „Stürmisch bis heiter, Memoiren einer Außenseiterin“, eine Bücherverbrennung: „Ich ging mit Ines, einer Freundin, zum Opernplatz (in Berlin), denn dergleichen sieht man nur einmal im Leben – und außerdem war es gut, Zeuge gewesen zu sein.
Menschenmassen strömten die Linden entlang, Musikkapellen spielten, es herrschte Feiertagsstimmung. Fackelzüge marschierten auf, Studenten umstanden den Scheiterhaufen, warfen ihre Fackeln in die Flammen, hochbeladene Lastwagen brachten das Brennmaterial, die deutsche Literatur. Zuerst kamen die Prominenten, später alles, was aus Verlagen und Buchhandlungen an verbotenen Schriftstellern abgeholt worden war. Ines bemerkte: »Dies ist natürlich der größte Scheiterhaufen aller Zeiten, weil er vom größten Führer aller Zeiten und dem größten Schreier aller Zeiten befohlen worden ist.“
Nach ihrer Scheidung zogen Alice und ihre inzwischen 25-jährige Tochter Charlotta, nach Florenz. Dort ließ sie sich vom Bischof katholisch taufen. Aber bevor sie ihr Lebensmut endgültig verließ, schrieb sie "Ein Spießbürger erobert die Welt" für die Baseler Nationalzeitung als Fortsetzungsgeschichte. Das Honorar war lächerlich. Zur Armut kam eine Krankheit, an der sie am 2. April 1938 mit 63 Jahren starb.
Sie war schnell vergessen und aus der Literaturgeschichte gelöscht. Drei ihrer Bücher sind 2012 bei AvivA neu aufgelegt worden.
Mich empört, dass man so eine kräftige und erfolgreiche Frau derart entwürdigen und runter kriegen konnte.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.