Paolo und Francesca
Das ist die Skulptur, über ich mit Ihnen sprechen möchte.
1958 war ihr Schöpfer, der Bildhauer Fritz König, 34 Jahre und am Anfang seiner Karriere. 1945 war er mit 21 Jahren vom Krieg zurück gekommen. Er hat das Sterben und den Tod gesehen. Und nun sollte die Liebe, Mann und Frau, das Paar, das große Gegengewicht sein. Und so gehören bei ihm Tod und Liebe zusammen.
So wie bei Paolo und Francesca. Wer waren die beiden?
Francesca war in Ravenna als Tochter des dortigen Signore geboren. Man verheiratete sie um 1275 mit Giovanni Malatesta, dem künftigen Herrn von Rimini. Jawohl, Rimini, dem beliebten Badeort und Teutonengrill. Francesca bekam eine Tochter namens Concordia, d.h. Eintracht, und damit war die zwischen Ravenna und Rimini gemeint. Es war also eine dynastische Heirat. Von Liebe wohl keine Spur.
Man könnte die Geschichte auch so erzählen: Es waren einmal zwei Brüder, der eine war hässlich und böse, der andere aber schön und gut. Der hässliche Bruder heiratete. Seine junge, fröhliche Frau liebte bald den Bruder. Der hässliche Gatte erwischte die beiden in flagrianti und erstach sie zugleich mit dem Schwert. Tot. Fertig ... Was ist daran so besonders?
Dante hat darüber geschrieben. Er lebte zur selben Zeit und hörte von der Geschichte. Er baute sie in seine Göttliche Komödie ein, einer Jenseitsreise, die er mit dem römischen Dichter Vergil unternimmt. Der zeigt ihm zuerst die Hölle, das Inferno, und erklärt, dass im 2. Kreis die sündig Liebenden gestraft werden, z.B. Semiramis, Kleopatra, Helena und Paris und eben auch Francesca und Paolo, die verschwägerten Ehebrecher.
Dante will’s wissen. Ein wütender Höllensturm weht die beiden wie Tauben heran und gefragt, wie es bei ihnen angefangen, wie die Liebe sie erwischt habe, antwortet Francesca:
„Wir lasen einst, weil’s Beiden Kurzweil machte,
von Lancelot, wie ihn die Lieb umschlang.
(In Lancelots Fall war es Ginevra, die Frau seines Freundes König Arthur)
Das Buch regt in uns auf des Herzens Drang,
– eine gefährliche Lektüre also –
trieb unsre Blick und macht uns oft erblassen.
Doch eine Stelle war’s, die uns bezwang,
als wir von dem ersehnten Lächeln lasen
auf das den Mund gedrückt der Liebste hehr,
da naht er, der mich nimmer wird verlassen,
da küsste zitternd meinen Mund auch er ...
Der eine Schatten sprach’s, der andre fasste
sich kaum vor Weinen - also Paolo - und mir – also Dante –
schwand der Sinn vor Mitleid, dass ich wie im Tod erblasste.
Und wie ein Leichnam hinfällt, fiel ich hin.
Wumm.
Dante war der Erste, der den Fall Paolo und Francesca bedichtete, es folgten Boccaccio, der, der das Decamerone geschrieben hatte, viel später,
Paul Heyse, nach dem eine Unterführung in München benannt ist,
Gabriele D’Annuncio, vergiss ihn! und Peter Weiss, den Dantes Divina Commedia in seinen Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ beeinflusst hat.
Gemalt und gezeichnet sind die beiden worden von u.a. Ingres, Gustave Doré, Anselm Feuerbach, Salvador Dalí, Robert Rauschenberg und von der deutschen Künstlerin Monika Beiser, die alle 100 Gesänge illustriert hat.
Plastisch gestaltet wurden sie u. a. von Auguste Rodin und eben Fritz König.
Opern und Sinfonien haben Liszt, Max Reger, Tschaikowski, Rachmaninow, Puccini und viele andere geschrieben.
Comics und Filme sind entstanden und sogar ein Computerspiel.
Aber noch immer kann ich mir Francesca nicht recht vorstellen. Sie ist überlagert von klassizistischem, romantischem und prärafaelitischen Outfits, von roten Roben, schwarzen Haartrachten oder wie hier im kühnen Bronzeguss.
Ich versuche deshalb, ihr mit einem alten Trick nahe zu kommen, ich fange ein Gespräch mit ihr an.
Francesca, wie siehst denn du eure Affäre?
Wieso Affäre? Es war keine Affäre, es war der Wahnsinn, es war LIEBE.
Das ist die schreckliche Unbedingtheit der Jugend. Hast du denn den Tod nicht einkalkuliert?
Paolo und ich hätten niemals eine Zukunft gehabt.
Ja, erwischen hättet ihr euch nicht lassen sollen. Ich sag dir was: Zeit heilt Wunden. Du wärst älter geworden und hättest deine Tochter Concordia aufwachsen und später deine Enkelkinder sehen können. Da wär noch viel Glück und Leben gewesen.
Francesca zuckt nur mit den Schultern.
So bist du in der Hölle gelandet, sag ich und fliegst mit ihm, mit deinem Paolo, im Sturmwind des Infernos herum.
Dante hat uns verewigt. Und Fliegen macht Spaß.
Wer’s glaubt.
Paolo und ich waren füreinander bestimmt, wir waren auserwählt. So wie Genevra und Lancelot.
Ach, der alte Schundroman, sag ich. Sie haben sich auf Kosten und Herzeleid von König Arthur, Lancelots Freund und Ginevras Gatten, geliebt. Was mit solchen Geschichten Unglück angerichtet wird, heute noch. Damals wart ihr es. Da wurden die anderen marginal, randständige Figuren. Wusstest du, dass Paolo verheiratet war, eine Frau und zwei Kinder hatte, so wie du. Und trotzdem bist du fremd gegangen.
Fremd, wieso fremd. Wir kannten uns doch, wir waren einander nicht fremd. Wir waren 1 Herz und 1 Seele.
Dann sag mir Francesca, was ist an der unglücklichen Liebe dran, dass man sie so verherrlicht und tradiert.
Das weißt du nicht? Francesca schaut mich mit großen Augen an. Weil so ein Liebe das non plus ultra ist. Stell dir doch den Alltag vor. Jahr um Jahr ein Kind.
Der Ärger mit der Kohle, fällt mir ein,
Und schlechtes Wetter, ergänzt Francesca, und die Pest. Dann bückt sie sich und ergreift einen Stein, einen kaum erkalteten Lavabrocken. Wirf ihn, sagt sie, wenn du noch nie jemand geliebt hast, der anderweitig gebunden war.
Wirf den ersten Stein!
Da lagen noch viele.
Wir sahen uns an, Francesca und ich. So ist es, sagte sie. Und dann kam der Wind und wehte sie mit Paolo davon.