Die kleine Brille

 

Es ist Mitternacht im Fundbüro. Der Vollmond scheint durch die Fensterscheiben. Das rote Standbay-Licht am Computer geht an und aus, an und aus.

Drrr, drrr, tsss, tsss, macht der Wecker, der auf dem Schreibtisch steht. Er heißt Willi Wunderwecker, weil er sich immer wieder wundert, was alles verloren wird. Ts, ts.

„Und wieder gefunden“, piepst Fia, die schwarze Gummi-Fledermaus, die über dem Computer hängt. Sie ist auch mal verloren, aber nie abgeholt worden. Inzwischen gehört Fia Fledermaus zum Fundbüro dazu, genau wie Willi Wunderwecker.

Willi wundert sich mal wieder: „Heute sind zwanzig Schlüssel, fünf Brillen mit und acht ohne Etui, drei Schulranzen, vier Turnbeutel, zwölf Schirme, zwanzig Geldbörsen, drei Krawatten, ein Bündel weißer Baumwollsocken, fünf Paar Ohrringe, dreizehn Armbanduhren, drei Rucksäcke und ein Koffer im Fundbüro gelandet. Ts, ts.“

Die oberste Schublade des Metallschranks steht einen Spalt offen. Jemand ruft: „Ich will raus, ich will hier raus!“ Und eine andere Stimme schreit: „Wir sehen ja nichts.“

„Jetzt sind die Brillen aufgewacht“, seufzt Willi.

„Weil Vollmond ist und Mitternacht“, erinnert ihn Fia. Immer wenn der Vollmond ins Fundbüro scheint, werden die verlorenen Dinge lebendig.

Nun öffnet sich die Schublade ganz und eine Reihe Brillen funkelt Willi zornig an. „Höchste Zeit, dass wir abgeholt werden“, zischen sie. „Und mal wieder auf eine Nase kommen. Wo wir doch so schön sind und so teuer waren.“

Fia Fledermaus kichert: „Hochnäsige Gesellschaft!“ Dann sieht sie eine kleine runde Brille mit rosa Rand. Die sagt gar nichts und sieht irgendwie traurig aus. „Was ist los mit dir?“, fragt Fia.

„Laura sieht ohne mich so schlecht“, seufzt die kleine runde Brille. „Alles verschwimmt ihr dann vor den Augen und sie kriegt Kopfweh. Aber ihre Mutter hat nicht genug Geld, um eine neue Brille zu kaufen.“

Da schaltet sich der Computer ein. „Soll ich mal in den Akten nachsehen?“, fragt er.

„Beeil dich!“, fiept Fia aufgeregt. „Draußen kommt gerade eine große Wolke daher. Wenn sie den Vollmond bedeckt, können wir uns nicht mehr rühren. Mach schnell, Computer!“

Der Computer ist ungeheuer schnell. Er rattert durch seine inneren Ordner. „Verloren: Brillen. Unterabteilung: Kinderbrillen. Form: Rund. Besonderheiten: rosa Rand“, schnarrt er. 

„Das bin ja ich“, lacht die kleine Brille.

„Heute, 12 Uhr 5 telefonische Anfrage von Frau Müller, Hauptstraße 10“, fährt der Computer fort.

„Das ist die Mutter von Laura, meinem Brillenmädchen“, ruft die kleine Brille aufgeregt dazwischen.

„Frau Müller kommt morgen Vormittag und holt die Brille ihrer Tochter ab. Ende des Vermerks“, schnarrt der Computer.

Da jubelt die kleine Brille, und die großen Teuren schlüpfen missmutig in ihre Etuis zurück.

„Das geht ja voll gut aus“, freut sich Willi Wunderwecker.

Fia Fledermaus flappt zurück zu ihrem Schlafplatz über dem Computer. In diesem Moment verschwindet der Vollmond hinter der Wolke, und eine friedliche Ruhe kehrt wieder ein im Fundbüro nach Mitternacht.

 

 

Das Vampirgebiss

 

Der Vollmond scheint. Er strahlt durch die Fenster ins Fundbüro. Direkt auf Willi Wunderwecker. „Drrr, drrr“, rasselt er. „Es ist Mitternacht, alles aufgewacht!“

Da gähnen die vielen verlorenen Schlüssel am Schlüsselbrett. Sie klirren und klimpern, klappern und knurren.

„Knurren Schlüssel?“, wundert sich Willi Wunderwecker.

„Nein“, fiept Fia. „Schlüssel knurren nicht.“ Fia ist eine schwarze Gummifledermaus und gehört wie Willi seit langem zum Fundbüro. „Sicher knurrt Harry, der neue Hund.“

Harry ist ein großer Schäferhund aus Plüsch, der seit drei Tagen auf sein Herrchen wartet. „Ich bin‘s nicht“, flüstert Harry mit heiserer Stimme. „Wirklich nicht. Ich kann überhaupt nicht mehr knurren, weil‘s hier so zieht. Mein Hals ist schon ganz rauh.“

Und dann will er, dass das Fenster zugemacht wird, aber Willi will, dass es offen bleibt. Fia zeigt Harry eine Ecke, in der es nicht so zieht und bindet ihm ein roten Schal um. Da knurrt es wieder.

„Harry“, flüstert Fia, „kannst du mit deiner Nase rausfinden, woher das grauenhafte Knurren kommt?“

Klar“, krächzt Harry „Ich bin der beste Spürhund weit und breit“. Er schnüffelt durchs Fundbüro. „Hier riecht‘s, hier riecht‘s nach Brillen. Und nach, hm, hm, nach Schirmen, nach Handschuhen und Schals, ja genau. Und nach Schlüsseln. Nach sehr vielen Schlüsseln sogar.“

„Danke, Harry“, sagt Willi Wunderwecker. „Das genügt.“

Jetzt spitzt Harry seine Plüschohren, aber Fia Fledermaus hat viel feinere Ohren und schon herausgefunden, wer so gräßlich knurrt.

Es ist ein Gebiss, jawohl, ein Gebiss mit zwei spitzen, langen Eckzähnen.

„Wer hat dich denn verloren?“, fragt Fia Fledermaus verwundert.

„Das geht dich nichts an“, knurrt das Gebiss. Es sitzt in einem Glas und klirrt ungeduldig herum, dann springt es mit einem Satz heraus und beißt Harry, den Schäferhund in den Schwanz.

„Uu-iii-Auu“, jault Harry und springt senkrecht in die Luft. „Lass los, lass sofort los! Au!“

Plötzlich wird es dunkel. Ein gezackter Schatten fliegt über den Vollmond und nähert sich dem Fundbüro.

„Ein Vampir!“, fiept Fia Fledermaus.

Jetzt schwingt sich der Vampir durchs Fenster herein. „Hallo, schüschesch Kuschinschen“, nuschelt der Vampir. Er hat keine Zähne im Mund. „Habt ihr meine Beischerschen geschehen?“

„Hier“, schreit das Gebiss. „Hier bin ich.“ Dabei läßt es Harrys Schwanz los und plumpst auf den Boden. „Mist“, knurrt es. „Jetzt bin ich dreckig.“

„Im Kosmetik-Regal gibt‘s Zahnbürsten, Onkelchen“, meint Fia.

Der Vampir kramt eine neue Zahnbürste heraus und schrubbt das Gebiss am Waschbecken super sauber. Alle sehen dabei zu: Die Schlüssel am Schlüsselbrett, Harry, der Schäferhund, Willi Wunderwecker und Fia Fledermaus. Dann schiebt der Vampir sein Gebiss wieder in den Mund, lächelt sie alle breit an, dass die zwei Eckzähne im Mondlicht funkeln, schwingt sich aus dem Fenster und fliegt davon.

Endlich kehrt wieder friedliche Ruhe im Fundbüro ein.

 

 

Die starke Marie

 

Der Vollmond scheint durchs Fenster ins Fundbüro hinein. Da wird Fia wach Fia ist eine schwarze Gummifledermaus und hängt über dem Schreibtisch. Auf dem Metallschrank gegenüber steht Willi Wunderwecker und schnarcht.

„Aufwachen, Willi!“, fiept Fia. „Es ist Mittnacht.“

„Chrr, drrr, drrr, drrr“, macht Willi Wunderwecker. Er gehört wie Fia Fledermaus zum Fundbüro und muss sich immer wundern was alles verloren geht. „Was gibt’s Neues, Fia?“, fragt er.

„Hast du schon das kleine süße Mäuschen gesehen“, sagt die Fledermaus. „Es hängt an dem neuen Rucksack im Regal.“

„Ich bin nicht klein und süß“, piepst das Mäuschen empört. „Und außerdem hänge nicht ich an dem Rucksack, sondern er an mir.“

Fia und Willi müssen lachen, denn der Rucksack ist riesig, und das Mäuschen, das am Reißverschluss der vorderen Tasche baumelt, winzig.

Da wird das Mäuschen rot vor Zorn. „Ich bin Marie“, pfeift es schrill und hüpft wie Rumpelstilzchen auf und ab. „Ich bin die starke Marie, die stärkste Maus der Welt und werde es euch gleich zeigen.“

„Ruhig, Marie“, brummt der Rucksack. „Beruhige dich! Fang keinen Streit an! Schau, hier in diesem Regal ist es doch ganz gemütlich.“

„Nein, es ist langweilig“, pfeift Marie. „Ich will nicht in einem Regal sein, ich will in die große weite Welt hinaus.“

„Das willst du immer“, gähnt der Rucksack. „Das langweilt doch. Uaah!“ 

Da packt Marie den Rucksack mit ihren winzigen rosa Fäustchen, rüttelt, schüttelt, pufft und kitzelt ihn, bis er kichert und stöhnt: „Friede! Marie, hör auf! Ich mach ja alles, was du willst.“ 

„Dann komm, du fauler Sack“, lacht die starke Marie, springt mit dem Rucksack vom Regal und will mit ihm aus dem Fundbüro marschieren.

„Halt!“, ruft Fia Fledermaus.

„Hier geblieben!“, regt sich Willi Wunderwecker auf. „Das kannst du nicht machen.“

„Ich kann machen was ich will“, pfeift Marie empört, hakt sich vom Reißverschluss los, klettert blitzschnell zu Willi auf den Metallschrank und baut sich vor ihm auf. „Du tickst wohl nicht richtig, Alter!“

Ts, ts, ts“, macht Willi. „Ein Benehmen, also, ich muss mich schon wundern.“

„Weißt du was? Du kommst mit“, grinst Marie. „Einen Wecker kann man in der großen weiten Welt immer brauchen.“ Und dann nimmt die starke Marie Willi Wunderwecker einfach huckepack, klettert mit ihm vom Schrank herunter und stopft ihn in den Rucksack. Umpf!

Fia Fledermaus flappt aufgeregt um Marie herum. „Willi ist mein Freund“, fiept sie. „Lass ihn raus! Er muss hier bleiben. Ohne Willi ist es nicht schön im Fundbüro.“

„Dann komm doch auch mit“, meint die starke Marie. „Weißt du, die weite Welt ist wunderschön.“

„Kann schon sein“, sagt Fia, „aber ich hab schon eine Welt: mein Fundbüro. Hier ist immer was los. Nie ist es langweilig.

„Ach ja?“ Die kleine Maus überlegt. „Na, dann bleib ich vielleicht noch ein paar Tage.“ Sie zieht Willi Wunderwecker wieder aus dem Rucksack heraus.

Ist der aber froh! Und der Rucksack auch. Einen unglücklichen Wecker in seinem Bauch, nein, so etwas mag er nicht.

Da klettert die starke Marie mit Willi wieder auf den Metallschrank, hievt ihren Rucksack aufs Regal zurück, winkt Fia freundlich zu und dann kehrt endlich eine wieder Ruhe im Fundbüro ein.

 

 

Der Koffer-Gauner

 

Es ist kurz nach Mitternacht im Fundbüro. Willi Wunderwecker hat laut gerasselt und Fia, die schwarze Gummifledermaus aufgeweckt. Fia sperrt ihre feinen Ohren auf. „Aus dem Tresorraum kommen so seltsame Geräusche“, piepst sie. „Ich flieg mal schnell rüber und seh nach, ob alles in Ordnung ist.“

„Tu das“, meint Willi Wunderwecker. „Würde mich nicht wundern, wenn es Einbrecher sind.“

Fia flattert rüber, und richtig, die Tür vom Safe steht sperrangelweit offen. Das Mondlicht scheint auf Geldbörsen, Brieftaschen, Halsketten und Armbänder.

„Wer war das?“, flüstert Fia.

„Der da“, brummt der Safe und zeigt auf einen kleinen, abgewetzten Koffer. „Er hat mein Zahlenschloss geknackt.“

„Das tut man nicht“, sagt Fia. „Schäm dich!“

Aber der kleine, abgewetzte Koffer schämt sich nicht. Er lacht Fia sogar an: „Hallo, Fledermaus. Was wünscht du dir?“

Fia ist verblüfft. „Wawawa-was?“

„Man sieht ihm von außen nicht an, was in ihm steckt“, sagt eine elegante Geldbörse und klimpert mit den Münzen. „Aber der Koffer kann jeden Wunsch erfüllen.“

Die Brieftaschen im Safe rascheln mit den Geldscheinen. „Der Koffer hat uns ein Roulette zum Spielen versprochen. Und eine aufregende Reise.“

Die Halsketten und Armbänder klimpern: „Uns will der Koffer auf ein Fest mitnehmen, wo wir im Licht der Kerzen glänzen können.“

„Und ich“, sagt ein kaputter Schirm, der nur aus Zufall im Tresorraum steht, „Ich habe mir einen neuen Griff gewünscht.“

„Der Schirm soll einen Griff aus Elfenbein bekommen“, ruft der Koffer. „Es ist zwar das Szepter der Kaiserin von Atlantis, aber man kann es gut als Schirmgriff verwenden. Also, was wünscht du dir, du hübsche Fledermaus?“

Fia fühlt sich fitzelig. Schon lange hat sie einen Herzenswunsch: sie möchte so gerne Flügel für Willi Wunderwecker. Damit er nachts mit ihr fliegen kann. Und nicht immer auf seinem Metallschrank im Büro stehen muss. Aber was ist, wenn der Koffer ein Gauner ist und es in Wirklichkeit auf die Geldbörsen, Brieftaschen und Edelsteine im Safe abgesehen hat? Da hat Fia Fledermaus eine Idee. „Ich wünsche mir“, sagt sie langsam, „ich wünsche mir – dass der Koffer seinen Deckel aufmacht.“

„Geht nicht, leider, leider“, grinst der Koffer. „Ich habe nämlich den Schlüssel verloren.“

Da fliegt Fia Fledermaus wie ein schwarzer Blitz zu den Schlüsselbrettern und fiept: „Wer von euch gehört zu einem kleinen, abgewetzten Koffer?“

Da meldet sich ein Schlüsselchen. Fia fliegt damit zurück in den Tresorraum und sperrt den Koffer einfach auf.

Jetzt ist alles atemlos still. Doch plötzlich hört man Fia schrill piepsen. Der Kofferdeckel hat ihr einen Gummiflügel eingeklemmt. „Hilfe!“, ruft sie. „Hilfe!“

„Fia, ich komme!“, schreit Willi Wunderwecker und eilt wie auf Flügeln herbei. Er saust so schnell, dass er gar nicht mehr den Boden berührt. Zusammen mit dem Schirm zwingt er den Kofferdeckel auf.

„Was ist drin?“, ächzt Fia und reibt sich ihren Flügel.

„Nichts“, sagt Willi. „Der Koffer ist total leer.“

„So ein Angeber!“, rufen alle und sind furchtbar enttäuscht. Nur Fia Fledermaus ist glücklich. Wenn sie in Not ist, kann Willi Wunderwecker wirklich fliegen.

Sie sperren den Gauner-Koffer einfach in den Safe. Dann kehrt wieder Ruhe im Fundbüro nach Mitternacht ein.

 

 

Etwas ganz Besonderes

 

Wieder ist es Mitternacht im Fundbüro. Der Vollmond scheint durch die Fenster auf die langen Regale, in denen die Taschen stehen: Einkaufstaschen, Badetaschen, Schultaschen, Turnbeutel, Picknickkörbe und Plastiktüten. Fia, die schwarze Gummifledermaus flappt daran vorbei.

„Ist heute etwas Besonderes darunter?“, fragt Willi Wunderwecker, der gerade gerasselt und dabei alle aufgeweckt hat.

„Nein“, fiept Fia. „Nichts Besonderes, das Übliche.“

„Stimmt gar nicht“, tönt es aus dem Regal. Alle verlorenen Taschen finden, dass sie etwas Besonderes sind und ganz und gar nicht üblich.

„Ich habe Brot und Käse eingekauft“, meint eine Einkaufstasche stolz. „Ohne mich müßten alle verhungern.“

„So, so, Käse“, kichert eine freche Schultasche. „Man riecht’s.“

„Wir, wir sind auch etwas Besonderes“, rufen die Plastiktüten.

„Pah, euch gibt’s wie Sand am Meer“, sagt Fia Fledermaus.

Ein Turnbeutel fragt: „Ist Sand am Meer etwas Besonderes?“

„Nicht am Meer“, meint Fia. „Aber bei uns im Fundbüro.“

„Dann bin ich etwas ganz Besonderes“, ruft eine Badetasche. „Ich bin noch voller Sand vom Urlaub am Strand.“ Sie wirft ein Handtuch heraus und Sand rieselt über alles. Noch etwas fällt aus der Badetasche: eine Muschel, eine große weiße Muschel. Fia hört mit ihren feinen Fledermausohren das Meer in der Muschel rauschen.

„Das ist ja wirklich was Besonderes“, staunt sie. Dann hört sie wie das Meer in der Muschel an einen Strand schwappt. Und zwei Stimmen, die sich streiten:

„Stell dich nicht so an, Blödmann!“, schreit die eine. „Lass mich mal!“

„Das schaffst du nicht“, brüllt die andere Stimme. „Weil du auch nicht genug Kraft in den Scheren hast.“

„Kraft in den Scheren?“, wundert sich Fia.

Und dann geht’s rund in der Muschel. Es knallt und patscht und plötzlich purzelt jemand heraus und landet auf dem sandigen Badetuch. Er ist klein und rund, hat Glubschaugen, lange Fühler, acht dünne Beine und zwei dicke Scherenhände.

„Na, so was“, wundert sich Willi Wunderwecker. „Was ist denn das?“

„Das ist ein Taschenkrebs“, erklärt die Badetasche.

„Verflixt“, ruft der Taschenkrebs. „Wo bin ich denn hier gelandet?“

„Bei uns im Fundbüro“, antwortet Fia Fledermaus. „Aber mit wem hast du dich denn so gestritten?“

„Mit meinem besten Freund“, gibt der Taschenkrebs zu. „Wir haben Ananas am Strand gefunden. Aber keiner von uns kriegt sie auf.“

„Ananas“, wunder sich Willi. „Aber du hast doch wirklich starke Scheren.“

„Tja,“, meint der Taschenkrebs. „Aber die Dinger, die Ananas, sind in Dosen.“

„Ach so“, sagt Willi.

Da meldet sich der Picknickkorb: „Vielleicht kann ich euch helfen. Ich habe einen Dosenöffner dabei.“

„Prima“, sagt der Taschenkrebs. „Danke.“ Dann schnappt er sich den Dosenöffner und krabbelt zurück in seine große weiße Muschel. Fia hört wieder, wie die Wellen an den Strand schwappen und wie eine Dose aufgemacht wird.

„Schmeckt voll lecker, Kumpel“, schmatzt der eine Taschenkrebs.

Und der andere: „Also, so ein Dosenöffner ist ja schon etwas ganz, ganz Besonderes.“

Damit sind alle einverstanden: die Einkaufstaschen, Badetaschen, Turnbeutel, Schultaschen, Picknickkörbe und Plastiktüten. Und als der Vollmond untergeht, kehrt wieder Ruhe und Frieden im Fundbüro ein.

 

 

Liebe Kuscheltierchen

 

Wieder mal rasselt Willi Wunderwecker: „Es ist Mitternacht, alles aufgewacht!“

Und weil der Vollmond scheint, wachen alle Dinge im Fundbüro auf. Auch Fia, die alte Gummifledermaus, Willis beste Freundin. „Hör mal!“, fiept sie leise.

„Ich mag dich“, schnattert jemand auf der Fensterbank.

„Ich dich auch“, quiekt es zärtlich.

„Wer ist denn das?“, wundert sich Willi Wunderwecker.

„Zwei, die sich gefunden haben“, kichert Fia. „Schau mal, es sind eine Ente und ein Schweinchen.“

„Ach, die kleinen Kuscheltierchen“, meint Willi. „Die sind ja immer sooo lieb.“

„Na, ich weiß nicht“, sagt Fia Fledermaus. „Sie sind nicht immer sooo lieb.“

Ente ist gelb mit schwarzen Streifen und hat einen viel zu großen Schnabel. Sie liegt platt auf dem Fensterbrett und bewundert Schweinchens rosa Plüschbäuchlein. Und Schweinchen drückt seinen Rüssel auf Entes Schnabel und schmatzt ihr tausend Küsse drauf.

„So ein Glück“, seufzt Ente, „dass wir uns gefunden haben.“

„Schon“, grunzt Schweinchen. „Schließlich ist das hier ein Fundbüro.“

„Finde ich nicht“, grollt ein kleiner Tiger gleich daneben. „Das ist kein Fund-Büro, das ist ein Klau-Büro.“

„Wieso?“, quiekt Schweinchen.

„Weil du Ente geklaut hast“, brüllt der Kleine Tiger. „Ente ist nämlich meine Freundin, und du hast sie mir geklaut.“

„Gar nicht wahr“, grunzt Schweinchen.

„Doch“, faucht Tiger. „Hast du doch.“

„Nein“, sagt Schweinchen. „Hab ich nicht.“

„Hast du doch. Doch, doch, doch.“

„Hab ich nicht. Nein, nein, nein.“

„Aufhören!“, rasselt Willi Wunderwecker. „Das ist ja zum Verrücktwerden.“

Aber der arme Tiger kann nicht aufhören. Er schluchzt: „Ich bin ja so aleiheiheihein. Niemand kuschelt mit mir.“

„Mit mir auch nicht“, bäht ein Schäfchen. Und dann melden sich von überall her die kleinen Tierchen. Sie baumeln an Reißverschlüssen, liegen in Regalen und lugen aus Schachteln. Und alle, alle wollen mit dem kleinen Tiger kuscheln.

Der aber ruft verzweifelt: „Ich will aber nur mit meiner Ente kuscheln. Sag Ente, was ist denn dran an dem blöden Schweinchen?“

Ente hebt den Kopf und quakt: „Erstens hat Schweinchen einen süßen rosa Bauch. Und zweitens ist seine Stimme wunderschön.“

Schweinchen quiekt überrascht: „Ach ja?“

„Drittens“, fährt Ente fort, „drittens findet es meinen Schnabel gut.“

„Voll gut“, bestätigt Schweinchen.

„Und du, Tiger, hast immer gesagt, mein Schabel ist viel zu groß und ich soll ihn mal halten.“

„Entschuldige!“, sagt Tiger.

„Und immer hast du so rumgebrüllt“, fällt Ente noch ein.

„Gar nicht wahr!“, brüllt Tiger. – „Du hast ja recht, Ente. Entschuldige, bitte!“ Und dann weint er, weil er so traurig und alleine ist.

Da tut er Schweinchen plötzlich furchtbar leid. „Komm Tiger“, quiekt es. „Wir können doch alle beide mit Ente kuscheln.“

Und das machen sie auch, Schweinchen links und Tiger rechts von Ente. Als das die anderen Tierchen sehen, kommen sie aus den Regalen, krabbeln aus Schachteln und Kisten, kuscheln sich auch an Ente, Schweinchen und Tiger und schlafen ein.

„So ein süßer Haufen“, rasselt Willi Wunderwecker gerührt.

„Psst!“, piepst Fia Fledermaus. „Weck sie nicht auf!“

Und dann wird es ganz still im Fundbüro nach Mitternacht.

 

 

Willi wird repariert

 

Es ist Mitternacht im Fundbüro. Der Vollmond scheint durch die Fensterscheiben. Das rote Standbay-Licht am Computer geht an und aus, an und aus. Plötzlich wacht Fia, die Gummifledermaus auf, obwohl ihr alter Freund Willi Wunderwecker gar nicht gerasselt hat. „Willi“, fragt Fia, „Willi, hast du verschlafen?“

Aber Willi Wunderwecker antwortet nicht. Sein Platz auf dem Metallschrank ist leer.

„Willi!“, fiept Fia. „Willi, wo bist du?“

Da schaltet sich der Computer ein und brummt: „Weckeruhr, Kontrollnummer neunzehn null drei, antik, Metallgehäuse. Mechanisches Uhrwerk: defekt.“

„Klingt ja schrecklich“, piepst Fia. „Was ist defekt?“

„Kaputt“, sagt ein kleiner Schraubenzieher, der auf dem Schreibtisch in einer Schale liegt. 

„Und wo ist Willi jetzt?“, fragt Fia ängstlich. Normalerweise werden kaputte Sachen im Fundbüro nämlich nicht aufgehoben sondern weggeworfen.

„In Reperatur“, sagt der kleine Schraubenzieher.

„Ach so“, sagt Fia erleichtert. „In Reperatur.“ Mit Reparatur kennt sie sich aus. Es gibt im zweiten Stock des Fundbüros einen Raum, auf dem steht Reparatur an der Tür. Bitte anklopfen! Fia krallt sich den kleinen Schraubenzieher und fliegt sofort los. Im zweiten Sock flappt sie zweimal gegen die Tür. Autsch!

„Lass mich mal klopfen“, sagt der Schraubenzieher. Poch, poch, poch.

Die Tür geht auf. Ein dünner Strahl Vollmondlicht fällt auf eine Werkbank. Da liegt Willi Wunderwecker reglos mit dem Zifferblatt nach unten.

Der kleine Schraubenzieher untersucht ihn gründlich. „Mmh.“

„Was fehlt ihm?“, fragt Fia ängstlich.

„Nur eine Feder“, antwortet der kleine Schraubenzieher.

„Die kann der Wecker gerne von mir haben“, sagt jemand. Es ist ein Silberreiher, der neben der Werkbank steht. Nie hat ihn jemand abgeholt. Und steht er hier herum und bröselt. Das Sägemehl, mit dem er ausgestopft ist, rieselt heraus. „Nimm doch eine meiner Federn“, meint der Silberreiher.

„Nein danke“, sagt der kleine Schraubenzieher höflich. „Aber Willi braucht eine Spiralfeder aus Metall.“

„Ach so“, sagt der Reiher. „Na, vielleicht findest du so etwas in der Werkzeugkiste.“

Der kleine Schraubenzieher hüpft sofort in die Kiste und stöbert in den Fächern zwischen Schrauben, Muttern, Beilagscheiben, Nägeln und Häkchen herum. Endlich findet er eine Spiralfeder. Und noch etwas: eine Uhrmacherzange. Entzückt verbeugt sich der kleine Schraubenzieher vor ihr: „Du bist die schönste kleine Zange, die ich jemals gesehen habe. Sag, willst du mir helfen?“

„Aber gerne“, sagt die kleine Zange und lächelt. Zusammen machen sie sich daran, Willi Wunderwecker die Spiralfeder einzusetzen und ihn wieder aufzuziehen.

Inzwischen war Fia Fledermaus auch nicht faul: sie hat Nadel und Faden gefunden und die Risse im Silberreiher zugenäht. Jetzt rieselt kein Sägemehl mehr aus ihm heraus.

„Danke“, sagt der Silberreiher. „Ganz vielen herzlichen Dank!“

„Bitte sehr“, piepst Fia. „Gern geschehen. – Oh, hör mal, wie schön Willi wieder tickt.“

Willi Wunderwecker wundert sich: „Wo bin ich?“

„In der Reperatur“, erklärt Fia. „Aber jetzt bist du wieder in Ordnung.“

Und dann kehren alle in ihr Büro zurück. Der Silberreiher winkt zum Abschied. Endlich kehrt wieder Ruhe im Fundbüro nach Mitternacht ein.

 

Aber wer kichert denn da? Es ist die hübsche kleine Uhrmacherzange, die der kleine Schraubenzieher einfach mitgenommen und neben sich in die Schale gelegt hat.

 

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