Ursula und der alte Hades-König

 

Ursula hat einen Garten, ein kleines Grundstück mit Häusl. Der Garten ist hinter den sieben Hügeln. Wie kommt sie denn hin, die Ursula? Mit dem Radl, mit dem Bus, auf jeden Fall in Gedanken.

Sie stellt den Spritzbrunnen an, er dreht sich im Kreis, kleine Regenbögen schimmern, die Erde wird feucht und die Ringelblumenblütenblätter glitzern. Niemand schrebergärtnert neben Ursula. Keine Autobahn liegt hörbar nah, kein Sportplatz mit Geschrei. Nur eine hohe Tanne lässt den Wind durch ihre Äste rauschen, darunter ein Nadelbett im dichten Schatten. Schnell und klar fließt ein Bacherl vorei, im Wasser wächst Kresse. Ein Brett liegt drüber als Brücke zur Wiese hinüber und zum Wald hinauf, zum Weiher dahinter.

Ursula braucht noch eine Küche, einen Ofen, einen Topf für ihre Küche im Freien. Der Westwind soll das Feuer anblasen, sanft die Holzkohlenglut fächeln unter dem dreibeinigen Eisengestell. 

Es ist noch früh im Jahr. Was gibt’s im Garten? Frühlingszwiebeln, Rettiche, eiszapfenscharf, junge Meerrettichblätter. Wenig Schnecken, dafür sorgt eine Igelin mit Familie. Ringsum Rotkehlchen, Meisen, Amseln, Finken im Fliederbusch, im Hollerbusch, husch, husch, husch. Und abends, wenn die Sonne mild und müde wird, der Wind lind weht, kommt Besuch und klopft an der Pforte.

Permezzo! Iss’ erlaubt? Passt’s?

Passt schon, sagt Ursula. Und während der Wein im Bach kühlt, pflückt sie Frühsalat und der Gast schneidet und salzt die Rettiche. Ursula klatscht einen Teigfladen aufs gewölbte Blech über der Glut, gewürzt mit Kümmel und Koriander. Bald duftet der Fladen, kriegt braune Blasen und wird knusprig. Butter ist auch da. Wenn es Zeit wird für die Laterne und die windgeschützten Kerzen, liest Ursula vor. Der Gast ist gespannt, wie sich ihr neues Theaterstück entwickelt hat. Er ist selbst Autor und dramaturgisch erfahren. Schauspieler tauchen auf im Lichtkreis. Ursula hört, wie sie ihre Sätze in den Mund nehmen. Sie sieht Mimik, Gestik und Bewegung. Sogar Kostüme und Bühnenbilder. Regie macht Gil Mehmert, die Musik ist von Haindling. Wenn schon, denn schon.

 

Die Geschichte von Orpheus und Eurydike beschäftigt Ursula seit langem. Eurydike, eine junge, blühende Frau muss Abschied nehmen von der oberen Welt und in die untere absteigen, weil sie einen Motorradunfall gehabt hat, so jedenfalls in Ursulas Fassung. Die erste Szene spielt in Oberbayern im Wirtshaus zur Höll. Dort ist alles hadesmäßig grau und voller Staub, null Kundschaft, die Gaststube finster. Aus der Durchreiche zur Küche schimmert ein wenig Licht. Man hört den Wirt, einen verschlampten, depressiven Kerl, Fleisch klopfen und dabei fluchen. Es ist der gleiche Schauspieler, der später in der griechischen Unterwelt Pluto spielen wird, den mächtigen Herrn Hades. Er fühlt sich von so einem jungen Musiker, dem Orpheus – wie kommt der eigentlich hierher? - genervt, weil der will,  dass er seine Freundin Eurydike wieder rausrückt. Noch dazu wird Hades bald von seiner Frau Persephone, die er erst vor kurzem geraubt hat, verlassen werden. Er muss sie für eine Zeit lang zu ihrer Mutter zurückkehren lassen. So weit so gut. Es klappt perfekt.

Es wird Sommer, die Bohnen ranken, als wieder einer vor der Gartenpforte steht.

Permezzo, iss’ erlaubt?

Da ist er, Ursulas Vater himself, in braunen Corsamthosen, Sandalen, mit schiefer Schulter, den Mund zu skeptischer Freundlichkeit verzogen, das Haar noch fast braun wie auf dem Foto. Voll verschlampt und depressiv. Und noch immer mag ihn Ursula nicht.

Tut mir leid, sagt sie. Es passt nicht, sag sagt Ursula. Entschuldige, bitte.

Empfindlich wie ein Mimoserl, sagt er.

Da muss sie es aushalten, dass er wieder geht und sie vernichtend aus seinen kaltblauen Augen anschaut, nichts mehr von ihr hält, von ihrem Egoismus und ihrer ewigen Opposition überzeugt ist, sich umdreht und geht mit traurig gebeugter Gestalt. Aber immer noch besser, als sich seine Bemerkungen anhören zu müssen über Ursulas Rettiche, diese Küche im Freien oder ihr Theaterschreiben. Alles würde er loben, süffisant und von oben runter. Und nichts wäre mehr sauber danach und frisch, es hätte einen Sprung, einen Spritzer aus ätzender Vatervogelkacke. Denn nur seins ist ist was Ernsthaftes, ihrs ja nur nur Spielzeug, ein Hobby halt.

In der letzten Szene vom Wirtshaus zur Höll ist der Wirt tot, damit er wiedergeboren werden kann. Er hat Glück, denn er kommt als Mäderl auf die Welt und muss kein g’schlamperter, depressiver alter Hades-König mehr sein.

 

Zurück